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„Sexismus“ im Tierversuch

Gemäß dem Prinzip der Reduction, einem der 3R im Tierversuch, ist es wesentlich dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Tiere zum Zwecke der Forschung verwendet werden. Zur Erreichung dieses Ziels besteht eine Vielzahl an Möglichkeiten. Beispielsweise mit Hilfe von statistischen Verfahren und Zuchtprogrammen kann im Voraus genau berechnet werden, wie viele Tiere benötigt werden, um gewisse Parameter untersuchen zu können. So wird auch die Zucht von "surplus animals", jenen Tieren, die nicht im Experiment eingesetzt werden können, vermieden. Ebenso die Verwendung von Tieren beider Geschlechter im Versuch leistet einen Beitrag zur Reduction.

Jahrzehntelang wurden in der Wissenschaft hauptsächlich männliche Versuchstiere verwendet. Auch beim „Standardmenschen“, für den verschiedene Therapien entwickelt wurden, ging man stets von einem 70 kg schweren Mann aus, obwohl es offensichtlich ist, dass die Gesellschaft weitaus variabler ist. Einer der Hauptgründe für die zunehmende Verwendung von Männchen in Experimenten ist jedoch die Annahme, dass weibliche Artgenossen variabler sind, z.B. aufgrund der hormonellen Schwankungen, denen sie während des Östruszyklus ausgesetzt sind. In einer Studie von Levy et al., in der das Verhalten von weiblichen und männlichen C57BL/6J in einem Freilandtest untersucht wurde, zeigte sich, dass der Zyklus keinen Einfluss auf das Verhalten der Weibchen hat. Es wurde auch festgestellt, dass die weiblichen Mäuse in ihrem Verhalten weniger variabel sind als die männlichen Tiere. Selbst in zahlreichen Experimenten, für die sich Weibchen aufgrund einer bewusst höheren Prävalenz bestimmter Parameter besser eignen würden, wurden in der Vergangenheit zunehmend ausschließlich Männchen verwendet. Ein Beispiel dafür ist eine Reihe von Experimenten zum Furcht-, Angst- oder Stressverhalten, für die sich weibliche Mäuse aufgrund ihrer Beschaffenheit besser eignen würden, die aber zu mehr als zwei Dritteln an männlichen Tieren durchgeführt wurden.1

Abgesehen von der Annahme, dass Männchen einheitlicher sind, gibt es auch den Irrglauben, dass alle Tiere im Versuch absolut identisch sein müssen und dass es innerhalb der Versuchsgruppe möglichst wenig Variabilität geben sollte. Das eigentliche Ziel der Forschung ist es jedoch, die Realität so gut wie möglich in einem Modell abzubilden, und im wirklichen Leben ist nicht alles homogen. Der Fokus sollte daher nicht nur auf den gleichen Merkmalen liegen, sondern auch auf denen, die sich unterscheiden. Von der Planung des Experiments bis zur Durchführung selbst sollte die Einbeziehung beider Geschlechter ein zentrales Element sein. Dies gilt nicht nur für die Grundlagenforschung, sondern auch für die präklinische und klinische Forschung. Wird dies vernachlässigt, reduziert sich der wissenschaftliche Output und kann im schlimmsten Fall sogar verheerende Folgen für die Gesundheit des nicht untersuchten Geschlechts haben, zum Beispiel bei der Entwicklung von Medikamenten.2

Bei manchen wissenschaftlichen Fragestellungen ist es jedoch verständlich und vertretbar, warum nur ein Geschlecht von Interesse sein kann. Werden beispielsweise bestimmte hormonelle Zustände während der Schwangerschaft oder Hormonpräparate zur Empfängnisverhütung im weiblichen Organismus erforscht, ist es klar, dass dafür nur weibliche Tiere in Frage kommen. Steht jedoch der Verwendung beider Geschlechter nichts im Wege, so sollten beide einbezogen werden. Projekte, in denen z.B. grundlos nur männliche Tiere verwendet werden, sollten von Zeitschriften und Gutachtern abgelehnt werden, da dies unter keinen Umständen unterstützt werden sollte.2

In Anbetracht der oben genannten Tatsachenist es daher wünschenswert, bei Versuchen Tiere beiderlei Geschlechts zu verwenden.

 

Quellen:
1) Beery A. K., Zucker I. (2011) Sex bias in neuroscience and biomedical research. Neurosci. Biobehav. Rev. 35, 565–572
Yoon D. Y., Mansukhani N. A., Stubbs V. C., Helenowski I. B., Woodruff T. K., Kibbe M. R. (2014) Sex bias exists in basic science and translational surgical research. Surgery 156, 508–516
Levy DR, Hunter N, Lin S, Robinson EM, Gillis W, Conlin EB, Anyoha R, Shansky RM, Datta SR. Mouse spontaneous behavior reflects individual variation rather than estrous state. Curr Biol. 2023 Apr 10;33(7):1358-1364.e4. doi: 10.1016/j.cub.2023.02.035 . Epub 2023 Mar 7. PMID: 36889318 ; PMCID: PMC10090034.
Graham BM. Battle of the sexes: who is more variable, and does it really matter? Lab Anim (NY). 2023 May;52(5):107-108. doi: 10.1038/s41684-023-01164-7. PMID: 37024612; PMCID: PMC10156595.
Collins F. S., Tabak L. A. (2014) Policy: NIH plans to enhance reproducibility. Nature 505, 612–613
U.S. National Institutes of Health. Consideration of Sex as a Biological Variable in NIH-funded Research (NOT-OD-15-102). Retrieved October 2, 2015, from http://grants.nih.gov/grants/guide/notice-files/NOT-OD-15-102.html

2) Graham BM. Battle of the sexes: who is more variable, and does it really matter? Lab Anim (NY). 2023 May;52(5):107-108. doi: 10.1038/s41684-023-01164-7. PMID: 37024612; PMCID: PMC10156595. Clayton JA. Studying both sexes: a guiding principle for biomedicine. FASEB J. 2016 Feb;30(2):519-24. doi: 10.1096/fj.15-279554. Epub 2015 Oct 29. PMID: 26514164; PMCID: PMC4714546. 

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